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Verschollen in den Bergen

Hier ist eine Entdeckung zu machen: Miek Zwamborn, eine 1974 in den Niederlanden geborene Künstlerin, hat ihr drittes Roman geschrieben: „Wir sehen uns am Ende der Welt“ – eine Frau trauert um einen Freund, der beim Wandern verschollen ist und sucht ihn in den Bergen.

Leidenschaft für Bergwanderungen
Vielleicht möchten Leser zuerst nur hineinblättern in dieses Buch mit Fotos aus den Bergen, Fundstücken und geologischen Abbildungen. Und dann plötzlich ist es unmöglich, es wieder aus der Hand zu legen und nicht weiter zu lesen, so intensiv ist dieser Text. Die Ich-Erzählerin beschreibt relativ anspruchsvolle Bergwanderungen, die sie mit ihrem Freund Jens unternommen hat. Manchmal waren die Touren, die sie sich zugemutet haben, wirklich gefährlich und hart – mit Übernachtung im Freien:

Mitten in der Nacht legten wir uns ins Vorzelt, streckten die Köpfe heraus und betrachteten die Millionen Sterne über uns. Jeder Punkt hatte eine andere Farbe, sie verschlangen uns, die ungeheure Tiefe des Alls machte uns schwindlig, genau wie das Bewusstsein unserer Nichtigkeit. Als wir ein paar Stunden später erwachten, wussten wir wieder, warum wir das alles auf uns nahmen – der rote Himmel, ein erster sonnenbeschienener Gipfel …

Auf der Suche nach dem Freund
Bei der letzten Bergwanderung, die sie gemeinsam unternommen haben, erschien ihr der Freund weniger belastbar als sonst und eigenartig niedergeschlagen. Er sagte damals, er sei müde durch und durch, wolle eigentlich keine Berge mehr sehen, nur schlafen. Ein paar Wochen nach dieser Wanderung rufen Jens‘ Eltern an und fragen, ob sie etwas wisse über den Sohn, er sei verschollen. Er hat häufig Wanderungen allein unternommen und sich lange nicht gemeldet, aber diesmal ist es anders.

Die Ich-Erzählerin unternimmt nun wider jede Vernunft lange Bergtouren, um intuitiv den Freund zu suchen und stößt an verschiedenen Orten auf Spuren des Schweizer Alpenforschers und Geologen Albert Heim.

Entdeckung eines Alpenforschers
Heim lebte von 1849 bis 1937 und war der Begründer der sogenannten Kontraktionstheorie in der Geologie. Er beobachtete als Naturfreund und Wanderer die Berge im Wandel; er sah, in welcher Weise sie sich verändern und vermittelte, dass sie auch irgendwann nicht mehr da sein würden.

Die Beschäftigung mit dieser ebenso liebenswerten wie beeindruckenden Persönlichkeit und die Auseinandersetzung mit seinen Schriften tröstet die Ich-Erzählerin auf seltsame Weise: unausgesprochen, zart, ganz unauffällig. Als ob einer, der die Berge auch so liebte wie sie und ihr vermisster Freund Jens – und der mehr wusste über deren Majestät und geologische Herkunft, ihr den Freund noch einmal näher bringt, bis sie loslassen kann.

Merkwürdigerweise hat das auch für den Leser, und vielleicht trauernden Leser, etwas sehr Trostreiches. Ein wirklich schönes Buch. Leise kommt es daher, wie um Murmeltiere und Gemsen nicht zu verjagen und der Trauer die Zeit zu geben, die sie braucht.